Van Gogh an der Schwelle zur Ewigkeit

Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit: Kunst im Kino

[Werbung] Vincent van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit: In ausgewählten Kinos ist die künstlerisch-anspruchsvolle Geschichte der letzten Jahre von Vincent van Gogh, gespielt von Willem Dafoe, ab dem 18.4.2019 zu sehen. Julian Schnabel, der den Film gemacht hat, ist neben der Regie selbst Maler. Was das für die Ästhetik des Films bedeutet und ob es sich lohnt, den Film anzuschauen, habe ich in diesem Beitrag für euch zusammengetragen, denn ich habe mir das Kinokunstwerk zuvor schon ansehen dürfen.

Pinselstriche auf der Kinoleinwand

Kunst auf der Leinwand wird mit Farbe und Pinselstrichen hergestellt. Die filmische Leinwand benötigt ganz andere Requisiten. Was aber, wenn man die eine Kunst auf das andere Medium überträgt? Kann ein Film Bilder malen? Was auf den ersten Blick absurd klingt, wird in diesem filmischen Meisterwerk von Julian Schnabel perfekt inszeniert. Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit ist zugleich impressionistisches Gemälde und Kinokunst.

Die letzten Jahre des Vincents van Gogh

Bevor ich weiter auf die Ästhetik eingehe, ein paar Worte zur Story: Die Kamera nimmt uns mit auf die Reise des Vincent van Gogh nach Arles und Auvers-sur-Oise, wo er sich in der Natur gleichermaßen verliert und findet. Paris mit all seinen Menschen, dem Lärm und seinen Zwängen möchte er so entfliehen, um sein Leben sinnvoll zu gestalten. Dort angekommen, lernt er den Maler Paul Gauguin (Oscar Isaac) als einen guten Freund kennen und, im freundschaftlichen Sinne, lieben. Gauguins Sichtweisen bilden den Gegenpol zu denen des van Goghs: In seinen Augen muss Kunst aus den Phantasien des Künstlers entspringen, während van Gogh diese in der bereits vorhandenen Natur sucht und in seinen Malereien abbildet.

Bis zu seinem Tode, der bis heute nicht aufgeklärt ist, sind die Verbindungen auf menschlicher Ebene einzig zu Gauguin und zu van Goghs Bruder Theo (Rupert Friend) für Vincent von Bedeutung. Auch die Malerei selbst, die ihn während seines früheren Schaffens noch mit den Menschen verband, weil seine Kunstwerke für die Menschen gemacht waren, wird zum Ende seines Lebens für ihn zu einer Verbindung mit der Unendlichkeit; was die Menschen davon halten, ist nicht mehr wichtig.

Keine biographische Erzählung

Nicht nur der berühmte Fall des abgeschnittenen Ohrs, der in die Geschichte eingegangen – und immer noch unaufgeklärt ist, präsentiert ein verschleiertes und subjektives Bild auf die Geschehnisse und versetzt uns als Zuschauende in die Person van Gogh. Hierbei muss erwähnt werden, dass der Filmemacher Julian Schnabel keine 1-zu-1-Biographie darstellen wollte, sondern vielmehr sein eigenes künstlerisches Potential ausschöpfte, um seine Sichtweise auf den Maler filmisch umzusetzen.

So wurden bekannte Gemälde von Vincent van Gogh nicht exakt reproduziert, sondern in die Ästhetik des Films eingepasst – was durchaus Sinn ergibt, wenn man bedenkt, dass Willem Dafoe zu van Gogh wird und somit auch van Gogh “verändert” oder, möchte man es mit Walter Benjamins Worten sagen, “reproduziert” wurde. Willem Dafoe nimmt sich dieser Aufgabe unfassbar authentisch und emotional an, so dass die Gefühlsfunken sprühen.

Subjektive Sicht in gelb und violett

Ein Maler macht einen Film und gibt uns die Möglichkeit, in die Rolle von Vincent van Gogh zu schlüpfen: Auf was müssen wir uns ästhetisch gefasst machen?

Es ist eine Reise in das Bewusstsein des van Goghs. Wir sehen zum einen “reale” Bilder, zumindest, was die filmische Diegese betrifft; zum anderen jedoch auch Bilder eines Genies, das schillernde wie depressive Phasen durchlebt und durch eine beinahe wahnhafte “Brille” die Farben der Natur und der Umwelt wahrnimmt. Hierbei werden die Farben violett und gelb, mit denen der Maler mit Vorliebe arbeitet, besonders kontrastreich wahrgenommen.

Das Leben um den van Gogh herum wird zu seinen Gemälden – und so scheint es, als befinde er sich selbst in einem seiner Kunstwerke. Durch eine zweite Tiefenschärfe, die dem Kamerablick hinzugefügt wird, entsteht ein verschwommener Blick, der, wie ich glaube, eine Imitation von Kunst darstellen soll; der also neben den tiefen Kontrasten nun das Gesehene direkt vor dem inneren Auge in ein gemaltes Bild verwandelt oder in das, was van Gogh sich auf der Leinwand vorstellt. Eine weitere Interpretationsmöglichkeit besteht darin, dass der Blick des van Gogh immer wahnhafter und verschwommener wird.

Rätselhafte Innenschau

Neben den vielen bunten Bildern erleben wir einen Blick nach innen, wenn Vincent van Gogh Monologe hält und das Bild in diesen Sequenzen erlischt, also schwarz wird. Im Wirtshaus erwähnt er, dass er Shakespeare liebt, weil er Rätsel möge und Shakespeare rätselhafter als jeder andere Schriftsteller sei. So ist auch das Porträt über Vincent van Gogh in fünf Akte unterteilt, die jeweils durch einen inneren Monolog eingeläutet werden. Und auch dieses Porträt gibt vielerlei Rätsel auf, ist keine leichte Kost und kann nicht mit “Shortstories” oder “leicht verständlichen Geschichten”, wie die Wirtsfrau sie bevorzugt, verglichen werden.

Rapsfeld Shooting
Van Gogh an der Schwelle zur Ewigkeit

Das Weltliche vs. Vincent van Gogh

Nicht nur an dieser Stelle, sondern immer wieder, erlebt man Vincent van Gogh als den Gegenspieler des Weltlichen, das durch unterschiedliche Charaktere verkörpert wird. Auf das Porträt über ihn muss man sich einlassen, um es genießen zu können. Unruhige, teils schräge Kameraführung, gefilmt mit einer Handkamera, Unschärfen, Detailaufnahmen: Sie zeigen die Sicht eines mental angeschlagenen Genies, das im Aufbruch ist, das einfach nur weg will, wie auch das Symbolbild der Schuhe, die er zu Beginn malt, vermittelt.

Subjektive Kamerasicht und allüberschauende Perspektive wechseln sich ab – werden sogar zum Teil abgebrochen, so dass der Zuschauende aus seinem Tagtraum gerissen wird. Dann verstummt die Geige abrupt und auch die wunderschönen bunten, blühenden Pflanzen verwandelt sich in ausgedörrte Sonnenblumenfelder.

Die Malerei als das Unendliche

Immer wieder wird auch die Unvergänglichkeit von Malerei herausgestellt und damit ein Diskurs über Leben und Tod und nicht zuletzt Religion eröffnet. “When facing a flat landscape, I see nothing but eternity”, lässt uns van Gogh wissen: Landschaften werden zu Ewigkeit, indem sie auf der Leinwand für immer festgehalten werden. Für van Gogh ist sein Wirken auf die Ewigkeit und das, was über den Tod hinausgeht, von Bedeutung. Deshalb sagt er auch, dass er zwar ein Maler sei, aber zum falschen Zeitpunkt geboren und dass seine Kunstwerke für ein Publikum, das noch nicht lebe, erschaffen worden seien. So ist es für ihn kein Hindernis, dass er zu Lebzeiten noch keine Bilder verkauft und sogar belächelt wird.

Glück und Depression liegen nah beieinander

Diverse Geschehnisse in diesem Porträt sind nicht nachvollziehbar, obwohl die Kamera, die eigentlich als beweisführend bekannt ist, das Erlebte filmt – das macht die Erzählung so spannend: Die Sicht des van Gogh ist uneindeutig, zerrissen, verschwommen und verwackelt. Seine depressive Seite wird ebenso berücksichtigt wie auch die, in der er eins mit der Natur ist, sich Erde ins Gesicht rieseln lässt, auf dem Boden liegt und vor Glück lacht. Nach seinen wahnhaften Exzessen bleibt jedoch nur das Schwarz, an das er sich erinnert. Willem Dafoe wird hier wahrhaftig zu Vincent: Er spielt die Rolle seines Lebens, so findet auch der Rolling Stone.

Vincents Vergleich mit Jesus Christus

Aber genau dieser Wahn macht ihn zu dem Genie, das er gewesen ist: Seine Spontaneität und Schnelligkeit bei der Arbeit stehen konträr zu der Kontrolliertheit des Gauguin, die am Ende dafür sorgt, dass er van Gogh allein zurücklässt, weil er die mentalen Ausbrüche nicht mehr erträgt – was diesen wiederum dazu veranlasst, sich ein Ohr abzuschneiden. Emotionen werden durch Farben dargestellt, gelb wird zu blau und somit Glück zu Wahn. “I am my paintings”, so Vincent. Er vergleicht sich selbst mit Jesus, der zuerst allerlei weltliche Schmerzen ertragen musste, bevor er zum Erlöser wurde. Bild und Ton werden überblendet und somit die geistige Überlastung des van Goghs spürbar gemacht, die zum Ende hin immer weiter fortschreitet.

Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit
Photo by Dominik Greifenberg

Meine Meinung zum Film

Mir persönlich hat dieses Porträt besonders gut gefallen, da ich Arthouse super finde und zwei künstlerische Bereiche miteinander verbunden werden. Besonders spannend finde ich daran, dass Geisteszustände mit Farben umgesetzt werden. Genie und Wahnsinn liegen nah beieinander, genau wie auch die Variationen von Bild und Ton, die uns angeboten werden. Die nicht eindeutige Erzählung bildet ab, wie van Gogh gedacht und gefühlt haben könnte: Sie ist kräftezehrend, aber auch wunderschön. Sie verlangt dem Zuschauenden ab, sich auf eine ruckelige Kameraführung und kontrastreiche Bilder einzustellen, ist auf der anderen Seite jedoch ein Kunstwerk mit all seinen Facetten, zu denen auch die musikalische Untermalung zählt. Lasst euch auf diese Reise in die Gedankenwelt eines großen Malers ein und ihr werdet am Ende nicht enttäuscht aus dem Kino gehen.

Vincent van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit
Vincent van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit

Falls ihr schon im Kino wart: Wie hat euch der Film gefallen? Habt ihr ansonsten vor, ihn euch anzuschauen? Ich freue mich auf eure Kommentare unter dem Beitrag. Eure Marie

2 thoughts on “Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit: Kunst im Kino

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