The Hateful Eight Rezension

Ich trage heute Gehirn… nicht nur im Kopf. Filmrezension zu The Hateful Eight

Ich habe mir die Premiere von Tarantinos neuem Meisterwerk “The Hateful Eight” angesehen, der dem Genre “Western” zugeordnet wird (Anm. d. Red.: Erste Veröffentlichung des Beitrags früher). Ob es sich lohnt, 168 Minuten Sitzfleisch plus Pausen zu investieren, liest du hier. Keine Sorge, kein Spoiler-Alarm.

In den tiefsten Schnee “verschlagen”

Ein aus Holz geschnitzer, ans Kreuz genagelter, mit Schnee bedeckter Jesus in der Nahaufnahme. Um ihn herum eine weiße Schneewüste ohne eine Menschenseele. Die Musik aus dem Off unterstreicht die eisige Atmosphäre. Dunkle Moll-Töne erinnern in gewohnter Tarantino-Manier irgendwie etwas an “Peterchen und der Wolf”. Zumindest ist das so in meinem musikalischen Gedächtnis verankert. Langsam fährt die Kamera rückwärts und entfernt sich von der Holzfigur, während die Darstellernamen eingeblendet werden. Warum eine Jesus-Figur? Ich behalte es im Hinterkopf. Es handelt sich um Tarantinos achten Film… ich kann mir die Deutung nicht verkneifen, dass der Filmtitel auch aufgrund der Filmanzahl gewählt wurde. Acht großartige Filme, in denen der Hass jedes Mal eine entscheidende Rolle spielte.

Kapitelweise kalte Kopfgeldjäger

Das erste Kapitel hat begonnen. Genau, auch dieser Streifen ist wieder in Kapitel gegliedert. Wie viele, wird nicht verraten. Eine Kutsche taucht in der Schneewüste auf. Der (auch hier wieder) großartige Samuel L. Jackson stapft durch den Schnee und zieht einen Haufen Leichen hinter sich her. Kopfgeldjäger. Und er wird nicht der einzige bleiben. Kopfgeldjäger gibt es hier genug. Wenn es hier etwas gibt, dann Kopfgeldjäger… ok, ich hör schon auf. Ich wiederhole mich.

Jennifer Jason Leigh spielt Daisy Domergue. Sie ist Gefangene des Kopfgeldjägers John Ruth, gespielt von Kurt Russell. Ich bin beeindruckt von ihrer schauspielerischen Leistung. Eine solch durchtriebene, schmerzfreie, rotzlöffelähnliche Persönlichkeit mit Mut zur Hässlichkeit (und Tarantino war häufig nicht besonders freundlich zu seinen Frauenfiguren) hat kein Mitgefühl vom Zuschauer verdient. Und sie bekommt auch keines.

Die Story sei hier nur kurz zusammengefasst.

Ruth will Domergue nach Red Rock bringen, wo sie gehängt werden soll. Auf ihren Kopf sind 10.000 Dollar ausgesetzt. Warum, das weiß keiner so genau. Mit der Kutsche unterwegs dorthin, sammeln sie Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) und Sheriff Chris Mannix ein, die sonst dem Tod im Schnee geweiht wären (okay, und aufgrund von erfolgreicher Erpressung natürlich auch noch). Der Schneesturm zwingt sie dazu, in “Minnies Miederwarenladen” Halt zu machen. Dort warten jedoch nicht Minnie und die üblichen Verdächtigen, sondern vier Männer: Ein alter General, der sich offen gegen Schwarze ausspricht, ein Mexikaner, ein Cowboy auf der Durchreise (Michael Madsen, schon in Kill Bill mit dabei gewesen) und der “Kleine” (Tim Roth), der behauptet, Henker zu sein, was natürlich sehr praktisch ist. So bilden sich im Laufe des Bühnenschauspiels zwei Lager heraus, denn der “Nigga”, wie er nur genannt wird, ist nicht bei allen sehr beliebt…

An dieser Stelle mache ich einen Cut, um dir nicht zu viel zu verraten. Und auch im Kino findet hier der erste Cut statt, denn 90 Minuten von 180 sind nun rum.

Gemetzel der Gerechtigkeit?

Wie du schon ahnst, folgt im zweiten Teil das typische Gemetzel. Für Tarantino geht es doch immer um Gerechtigkeit, wenn er auch eine sehr blutrünstige Art hat, das zu zeigen. Während ich The Hateful Eight anschaute, habe ich mich anfangs gefragt, welche Minderheit dieses Mal ihren blutigen Rachefeldzug vollziehen darf. Ist es Daisy Domergue, die die Frauen repräsentiert? Oder ist es Major Marquis Warren, der “Nigga”, der einen Brief von Abraham Lincoln bei sich trägt (warum wird… natürlich nicht verraten)? Oder ist es Sheriff Chris Mannix, die einzige Figur, die in diesem Werk teilweise lächerlich, dämlich und wie ein Weichei dargestellt wird? Tarantino macht es spannend.

Mit den Hasserfüllten Acht auf Du

Und seinen Stil muss man mögen. Lieben. Wenn man das tut, dann ist man in diesem Film wieder richtig. Die Charaktere werden erstmal so ausgiebig vorgestellt, dass man für jeden irgendwie irgendwas empfindet… Sympathie, Antipathie, Mitleid, Spott… und trotzdem haben wir es mit flachen Charakteren zu tun, die in erster Linie böse und geheimnisvoll sind. Tarantinos Erzählstruktur ist sauber und der Aufbau stringent. Jeder Satz hat irgendwie für irgendwas eine Bedeutung, wenn man das auch erst nicht glauben mag. Teil 1 des Streifens kommt ohne Erzählstimme aus, der Zuschauer ist live dabei. Teil 2 bedient sich einer extradiegetischen Erzählstimme. Eine Analepse folgt und zeigt uns auf, wie es wirklich gewesen ist. Die ausführlichen Gespräche an der Bar mögen für den ein oder anderen Zuschauer anstrengend sein. Wenn man die Liebe zum Detail und zu den Figuren, die Tarantino hegt, zu schätzen weiß, dann nimmt man diesen Stil als großartigen Mehrwert wahr. Und trotzdem gelingt keine Identifikation mit irgendeinem Protagonisten. Der Zuschauer wird allein gelassen und weiß nicht recht, für wen er denn nun sein soll. Aber auch das ist, natürlich, gewollt.

Die Verbindung von roher Gewalt mit Humor

Nicht nur die ausführlichen Dialoge, sondern auch der Humor ist der Gleiche geblieben. Sarkasmus pur. Und ich liebe es. Tarantino versteht es, rohe Gewalt mit Humor so zu verbinden, dass man sich nicht unmenschlich vorkommt, wenn man trotzdem lacht. Da wird ein Gehirn weggepustet, obwohl man sich ergeben wollte, weil das “zu lange dauerte”. Gags wie das ständige Auftreten und wieder Zunageln einer Tür mit mehreren Brettern und Nägeln und die wiederholte Aufforderung: “Du musst mehr Bretter nehmen, sonst hält das nicht!” oder das liebevolle Umsorgen seiner Gefangenen Daisy mit Eintopf und Kaffee, der John Ruth eine Minute später den nächsten Zahn rausschlägt, zaubern einem Tarantino-Liebhaber unweigerlich ein Schmunzeln ins Gesicht. Wobei noch zu betonen wäre, dass selbst die Gewalt, die hier verübt wird, nicht als solche gemeint sein kann, sondern vielmehr ebenfalls als ein sarkastisches Element fungiert, dass die klassischen Westernfilme auf die Schippe nimmt.

Blut und Mord als schöne Kunst

Tarantinos Verständnis von Schönheit kommt dem von Gewalt sehr nah. Oder besser gesagt: Er sieht selbst in der Gewalt das Schöne und stilisiert Blut zu einem künstlerischen Element, malt seine Bilder wie ein Künstler, der Stift ist die Pistole und das Blut seine Farbe. Rote Blutspritzer im weißen Schnee oder eine Blutspur quer durch den Laden, die abzeichnet, wo das Grauen stattgefunden hat. Man muss es mögen, das ist klar. Aus nächster Nähe zerplatzen Schädel, werden Gließmaße abgesägt und Beine zertrümmert. Der Zuschauer kann hier seine zuvor erworbenen Gefühle quasi voyeuristisch ausleben. Höhepunkt ist das plötzliche Auftreten des sonst eher für seine körperlichen Qualitäten bekannten Channing Tatum, dessen Rolle leider nicht sehr abendfüllend ist. Sein zerplatztes Gehirn schmückt schon bald die Haare und das Gesicht von Daisy Domergue. Muss man abkönnen. Bleibt nämlich den Rest des Films auch so.

Latente Gesellschaftskritik deluxe

Es handelt sich hier nicht um einen klassischen Western, sondern um einen klassischen Tarantino, der oftmals auch an Django Unchained, seinen zuvor produzierten Film, erinnert. Grade der für manche Zuschauer als langatmig empfundene Einstieg macht es erst möglich, am Ende so mitzuleiden. Eine Figur, die man 120 Minuten durch den Film begleitet hat, ist dann innerhalb von einer Sekunde tot, abgeknallt. Peng. Egal, es geht weiter. Das ist Tarantino. Latente Gesellschaftskritik deluxe. Und welche Minderheit hat sich nun gerächt? Wer hat überlebt?

The Hateful Eight Tarantino

Fans müssen ihn unbedingt anschauen. Ich bin mal wieder überzeugt.

Dir hat diese Kritik gefallen? Dann hinterlass mir doch ein paar Worte. Oder du bist komplett anderer Meinung, auch das kannst du mich wissen lassen. Ich freue mich auf deinen Kommentar.

Urheberin Grafik Kino-Rezension: Marie-Christin Graener mit Canva

Beitragsbild: by Dan Meyers on Unsplash

3 thoughts on “Ich trage heute Gehirn… nicht nur im Kopf. Filmrezension zu The Hateful Eight

  1. Liebe Marie,
    obwohl ich gar nicht so sehr auf Gewalt in Filmen stehe (Weichei?), hat mich Dein Bericht sehr neugierig gemacht. Vielleicht schau ich ihn mir sogar an, wer weiß…..

    Bis bald, Brigitte B.

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